ReisefĂŒhrer durch das Reich der Pilze
PortrÀt Helmut Adam, SachverstÀndiger
FĂŒr Helmut Adam beginnt in diesen Tagen wieder die schönste Zeit des Jahres: die Pilzsaison. Temperatur und Bodenfeuchte und ĂŒberhaupt der goldene Oktober verlaufen vielversprechend. Adam holt seine StandardausrĂŒstung aus dem Kofferraum (Holzkörbchen und Pilzmesser mit integrierter BĂŒrste) â und los gehtâs.
Start der Pilz-Pirsch ist am Forsthaus im Sternbusch. Kaum ist Adam ein paar Meter in den Wald hineingegangen, wird er auch schon fĂŒndig. Zwischen gestapelten BaumstĂ€mmen erspĂ€ht er ein buschig wachsendes Etwas in samtigem WeiĂ: Austernseitlinge. Was im Supermarkt wohl ein paar Euro kosten wĂŒrde, gibtâs in der Natur gratis. Doch Adam entdeckt noch mehr: âIch könnte allein an diesem Fleckchen den ganzen Tag verbringenâ, sagt er, lacht und holt eine Lupe aus der Tasche. Auf einem modrigen StĂŒckchen Holz werden bei zehnfacher VergröĂerung winzige Becherlinge sichtbar. Nicht essbar, aber schön anzuschauen.
Adam vollendet in diesem Monat sein 80. Lebensjahr. Schon seit seiner Kindheit ist der Borkener in der wundersamen Welt der Pilze zu Hause, in der putzige Namen wie Nelken-Schwindling, TrĂ€nender Saumpilz und Marzipan-FĂ€lbling kursieren. Als PilzsachverstĂ€ndiger der Deutschen Gesellschaft fĂŒr Mykologie ist er in der Lage, Arten zweifelsfrei zu bestimmen. Allein in Borken und Umgebung ist Adam bislang 600 bis 800 verschiedenen Spezies auf die Spur gekommen. LĂ€ngst nicht alle sind zum Verzehr geeignet. Die wenigsten giftig, die aber richtig. âWer sich nicht hundertprozentig sicher ist, welche Pilze er vor sich hat, sollte sie auf keinen Fall essen, sondern stehenlassen oder sie einem Fachmann zeigenâ, sagt Adam und will das doppelt und dreifach unterstrichen wissen.
Seine Leidenschaft fĂŒr Pilze hĂ€nge ganz entscheidend mit seinem Onkel Willi zusammen. Der habe nach dem Krieg den kargen Speiseplan mit Pilzen aufgefĂŒllt, erinnert sich Adam. Bestandteil herbstlicher Mahlzeiten war dann unter anderem der Kahle Krempling. Bis in die 1970er Jahre hinein war das ein geschĂ€tzter Speisepilz, der auch auf MĂ€rkten gehandelt wurde. Adams Rat im Lichte der heutigen Wissenschaft: In keinem Fall essen! Der Pilz ist heute als tödlich giftig eingestuft. Der Kahle Krempling war schon immer roh oder nicht ausreichend gegart giftig und fĂŒhrte zu erheblichen Magen-Darm-Problemen. Sein Onkel habe das gewusst. âSonst wĂŒrde ich jetzt nicht hier stehenâ, sagt Adam und lacht wieder. Todernst berichtet er dann aber: âNeben der Roh-Giftigkeit kann der Pilz jedoch nach wiederholtem Genuss eine allergische Reaktion auslösen, die zu einer HĂ€molyse, einer Auflösung der Roten Blutkörperchen, fĂŒhren kann.â
Neben dem Aussehen ist der Geruch ein entscheidendes Kriterium fĂŒr die Bestimmung eines Pilzes. Als Beispiel nennt Adam den Karbol-Egerling, der von der Optik leicht mit dem Wiesen-Champignon und dem Anis-Champignon verwechselt werden kann und unangenehm nach Phenol riecht, frĂŒher Karbol genannt. Adam kĂŒrzt den Stiel mit seinem Pilzmesser. âDie gelbe FĂ€rbung weist darauf hin, dass er giftig ist.â
Der 79-JĂ€hrige scheint ein fotografisches GedĂ€chtnis fĂŒr Pilzvorkommen in der Region zu haben. Unter mĂ€chtigen Buchen im Sternbusch sagt er plötzlich: âVor etwa 40 Jahren habe ich in diesem WaldstĂŒck ein einziges Mal einen Marzipan-FĂ€lbling gefunden.â Dessen Duft: selbsterklĂ€rend. Warum es bei dieser einmaligen Entdeckung blieb, erklĂ€rt der Fachmann so: âEs schwirren unzĂ€hlige Milliarden Pilzsporen durch die Luft, und irgendwann haben die mal genau hier das ideale Substrat gefunden.â
Kaum sprichtâs Adam aus, macht er am Rand des Waldwegs die nĂ€chste Entdeckung. Aus dem feuchten Boden recken sich lĂ€ngliche HĂŒte empor, und das zu Dutzenden. Es sind, da muss der Mykologe keine Sekunde ĂŒberlegen, junge Schopf-Tintlinge. âEin hĂ€ufig vorkommender Speisepilzâ, erklĂ€rt Adam. Er holt sich ein Exemplar auf die Hand und macht mit dem Messer einen LĂ€ngsschnitt. Das stangenĂ€hnliche Innere ist strahlend weiĂ. âGenau deswegen und wegen seines zarten Geschmacks nennt man den Schopf-Tintling auch Spargelpilzâ, erklĂ€rt Adam. Und noch etwas zum Namen: Tintling heiĂt er deshalb, weil die Ă€lteren Exemplare (die aber auch nur einige wenige Tage auf dem Buckel haben) am Rand ihrer Kappe eine tintenfarbige FlĂŒssigkeit absondern.
Mit Blick auf sein Alter trete er als SachverstĂ€ndiger inzwischen ein bisschen kĂŒrzer. Auf der Expertenliste des Dachverbandes im Internet habe er â A wie Adam â immer an erster Stelle gestanden â und deshalb Anrufe aus ganz Deutschland entgegennehmen dĂŒrfen. âAber Leuten in Bayern zu raten, wie sie den Hallimasch aus dem Garten bekommen, war dann doch ein bisschen zu viel des Gutenâ, nennt er ein Beispiel. Wenn er aber zu den Pilzwanderungen, zu denen der Natur- und Vogelschutzverein Borken in diesem Oktober einlĂ€dt, hinzugebeten wird, ist Adam gern zur Stelle.
Pilzsammeln scheint ein Trend zu sein. Naturerlebnis plus Selbstversorgung, die Leute mögen das. Hier und da bemerkt er als regelmĂ€Ăiger Waldbesucher die AuswĂŒchse. âIch sah mal welche, die suchten mit Harken nach Pfifferlingen. Das geht gar nicht: So macht man das Myzel kaputt, das symbiotische Geflecht der Pilze mit den Baumwurzelnâ, tadelt Adam. Leider habe er in dieser Gegend schon seit Jahren keine Echten Pfifferlinge mehr gesehen.
Nach dem Sternbusch steuert Adam noch kurz ein BirkenwĂ€ldchen zwischen Gemen und Ramsdorf an. âDa gibt es Schopf-Tintlinge in rauen Mengenâ, verspricht er. Das habe er gestern auf einer Radtour gesehen. Und tatsĂ€chlich: Schon von weitem leuchten die weiĂen Kappen im grĂŒnen Gras. Aber was muss Adam da mitansehen: Der Bestand ist zum Teil abgeerntet, der unbekannte Sammler hat die Stengel abgeschnitten und liegengelassen â und damit auf âSpargelâ im Herbst verzichtet. Adams kopfschĂŒttelnder Kommentar: âDas kann nur ein AnfĂ€nger gewesen sein.â