So viel mehr als ein Star-Fotograf
PortrÀt Vogelkundler Hans-Wilhelm Grömping
Im Gras liegen. Oder im Auto sitzen. Oder am Fenster. Kamera und Teleobjektiv ausrichten. Den Finger am Auslöser halten. Warten. Hoffen, dass sie sich zeigen. Eisvogel, Buntspecht oder GrauschnĂ€pper. Birkenzeisig, Ohrenlerche oder Gelbspötter. Amsel, Drossel, Fink und Star. Und ĂŒberhaupt: die ganze Vogelschar. Bei Hans-Wilhelm Grömping (66) lĂ€sst sich dieser Reim wörtlich nehmen. Wenn jemand Geduld beweist, Vögel zu beobachten und zu fotografieren, dann ist es Grömping. Er könne da schon mal die Zeit vergessen, sagt er. Manchmal auch das Essen und Trinken.
Der pensionierte PĂ€dagoge ist seit Jahrzehnten passionierter Vogelkundler und Naturfotograf. âAllein von Rotkehlchen habe ich wohl 5000 Bilder gemachtâ, sagt Grömping, und es klingt ein bisschen so, als wundere er sich ĂŒber sich selbst. Die Leidenschaft fĂŒr die Natur habe er von Kindheit an. Vielleicht habe das an seinem Lehrer gelegen. âAls ich als Junge ein Fernglas geschenkt bekam, ging es richtig losâ, erinnert er sich. In seinem Interesse fĂŒr die Natur sei er aber nicht âgnadenlos einseitigâ. Auch âPflanzen, KĂ€fer, Schmetterlingeâ wĂŒrde er in den Fokus nehmen. Wobei er Pflanzen als Fotomotiv auf Dauer nicht mehr so spannend fand: âDie bleiben bedauerlicherweise stehenâ, sagt Grömping und lĂ€chelt leise.
Mit seiner Fotosammlung, die sich inzwischen in Terabytes bemisst, will Grömping einen Beitrag zur Dokumentation der Artenvielfalt leisten â und damit zugleich zeigen, dass sie bedroht ist. âMehr als 500 Vogelarten gibt es in Europa. Zu den artenreichsten LĂ€ndern Mitteleuropas gehört Deutschland mit mehr als 300 nachgewiesenen Brutvogelarten: 243 Arten brĂŒten regelmĂ€Ăig, 25 unregelmĂ€Ăigâ, rechnet Grömping vor. Auf seiner Homepage naturschule.com hat Grömping inzwischen 378 selbst fotografierte Arten auf seiner âHaben-Seiteâ. Hinzu kommen viele weitere Spezies von seinen Reisen inner- und auĂerhalb Europas. Es sei âpures GlĂŒckâ, wenn es ihm gelinge, eine fĂŒr ihn neue Vogelart zu fotografieren. Manche fehlt noch, wie der Feldschwirl. Den brĂ€unlichen, etwa spatzengroĂen Vogel, der ein heuschreckenartiges âSirrrrâ vernehmen lĂ€sst, habe er bedauerlicherweise noch nie vor die Linse bekommen.
Grömpings Haus am Sonnenbrink wirkt mitsamt dem groĂen naturbelassenen GrundstĂŒck wie eine Oase inmitten einer ausgerĂ€umten Landschaft. Hecken, StrĂ€ucher, knorrige BaumstĂ€mme bieten Vögeln Nahrung und Unterschlupf. Grömping kommt auf 35 bis 40 Arten, die er praktisch vor seiner Nase schon hat beobachten können. Inklusive der Schleiereule auf dem Dachboden und einem Kauz, der in einem uralten Birnbaum auf der Weide nebenan eine Niströhre in Beschlag nimmt. Im Winter legt Grömping gern Futter aus â in erster Linie den Vögeln zuliebe, aber auch wegen der dann besseren Beobachtungsmöglichkeiten.
Was macht nun ein gutes Vogelfoto aus? âDas liegt vor allem im Auge des Betrachtersâ, antwortet Grömping diplomatisch. Besonders im Sommer sei der frĂŒhe Morgen die beste Zeit zum Fotografieren, ânicht nur, weil Vögel dann am aktivsten sind, sondern weil dann das Licht weich ist und man harmonische Farben erhĂ€ltâ, erklĂ€rt der Fachmann. Der Fokus der Kamera sollte immer auf dem Auge des Vogels liegen. Das Auge sollte âblinkenâ. HeiĂt: Statt eines schwarzen Kreises wirkt ein kleiner weiĂer Reflektionspunkt lebendig. Wichtig ist auch die Perspektive. Der Vogel sollte auf gleicher Höhe und nicht von oben oder unten fotografiert werden. âTolle Fotos entstehen vor allem dann, wenn man eine interessante, spannende Szene einfangen kann wie zum Beispiel einen Rivalenkampf von Rebhuhn-HĂ€hnen, die Balz von Kranichen, eine Verfolgungsjagd oder die Ergreifung der Beute durch einen Falkenâ, nennt Grömping Beispiele aus seinem Erfahrungsschatz. âAuch wenn Altvögel flĂŒgge Jungvögel fĂŒttern, wirdâs immer spannend.â
Ganz wichtig fĂŒr Grömping: Ein Foto muss unter natĂŒrlichen Bedingungen zustandekommen. Sitze ein Rotkehlchen in einer Menge von Sonnenblumenkernen, mit denen es gefĂŒttert wird, spreche ihn dieses Foto nicht an. Ein Tabu ist es fĂŒr Grömping zudem, an Nestern oder deren Umgebung zu fotografieren. Das könne dazu fĂŒhren, dass die Eltern die Brut aufgeben beziehungsweise tierische RĂ€uber die Eier entdeckten. âKein Foto rechtfertigt eine solche Störungâ, mahnt Grömping.
Um die Vögel vor die Kamera zu bekommen, sollte sich der Fotograf, wenn er sich schon nicht unsichtbar machen kann, möglichst unauffĂ€llig verhalten. âGute Fotos kann man auch aus dem Auto heraus machenâ, weiĂ Grömping aus Erfahrung. Sich nĂ€hernde Autos fĂŒhrten bei Vögeln nicht generell zu Fluchtreaktionen, man könne sich vorsichtig annĂ€hern, bevor man anhĂ€lt. Auf stark befahrenen StraĂen und im dichten Verkehr verbiete sich eine solche Methode natĂŒrlich. âAber den ein oder anderen MĂ€usebussard oder Silberreiher kann man so schon vom Feldweg aus erwischenâ, sagt Grömping. Eine andere Methode: Tarnung. Zum Beispiel mittels eines Tarnzeltes. Das könne aber den unerwĂŒnschten Effekt haben, dass der Fotograf den Vogel seiner Begierde gar nicht vor die Kameralinse bekomme, weil dieser ausgerechnet das Tarnzelt zu seiner Sitzwarte erkoren habe. âManche Fotografen tarnen sich auch selbst mit TarnanzĂŒgen und schwĂ€rzen ihr Gesicht, mĂŒssen dann aber mit SEK-EinsĂ€tzen oder zumindest verschreckten Passanten rechnen, wenn die Tarnung nicht perfekt warâ, berichtet Grömping von den KuriositĂ€ten seiner Zunft.
Ein Riesenvorteil seien natĂŒrlich Kenntnisse ĂŒber das Verhalten der Arten. Grömping macht das an einem Beispiel fest: âIch muss erstens wissen, wann Blaukehlchen aus ihrem Winterquartier zurĂŒckkehren, zweitens, welcher Lebensraum fĂŒr das Blaukehlchen geeignet ist, denn nur dort finde ich Blaukehlchen, drittens den Gesang des Blaukehlchens kennen, um es in seinem Lebensraum zu finden und viertens in dem knappen Zeitfenster vor Ort sein, in dem Blaukehlchen singen.â
Neben vielen groĂformatigen Vogelfotos an den WĂ€nden seines Beobachtungspostens fallen dort auch Aufnahmen einer Spezies in königsblauem Farbenkleid auf: FuĂballspieler des einst glorreichen FC Schalke 04. Bordon, Rafinha und viele mehr â als âKiebitzâ auf dem TrainingsgelĂ€nde hat Grömping die Stars vor Jahren schon vor die Linse bekommen. âHast du die Fotos dabei?â habe ihm Rafinha bei einem erneuten Besuch zugerufen.
Auf beziehungsweise ĂŒber Schalke könne man durchaus interessante Vögel beobachten, das habe ihm ein anderer Ornithologe mal erzĂ€hlt. Bei einem offenbar (flĂŒgel-)lahmen Spiel schweifte der Blick in den Himmel ĂŒber der Arena. Dort habe der Mann interessante âĂberfliegerâ entdeckt: OdinshĂŒhnchen â arktische Schnepfenvögel. So schnell, wie sie beim S04 auftauchten, waren sie schon wieder weg.